Sonntag, 25. November 2012

Führungskräfte im Stress

 
Im August 2012 habe ich folgendes Interview geführt.
 


Führungskräfte im Stress
 
Peter S. ist Führungskraft in einem mittelständischen Unternehmen. Als Absolvent eines Ingenieursstudiums fühlt er sich fachlich gut qualifiziert, mit der Führungsaufgabe häufig überfordert: „Darauf wurde ich im Studium nicht vorbereitet" teilt er mit und ergänzt: „ Ich bin mit meinen fachlichen Aufgaben vollkommen ausgelastet. Vorgesetzte und Mitarbeiter erwarten aber von mir, dass ich die Chef-Rolle ausfülle".

Frauke Schulte (FS)
befragt Peter S.: Wie sieht denn Ihr Arbeitstag aus?
 
Peter S. (PS): „Es geht den ganzen Tag hektisch zu. Meine Aufgaben sind sehr unterschiedlich und wechseln. Dabei gibt es häufige Unterbrechungen und Unvorhergesehenes. Meine Arbeitsplanung muss ich dann umstoßen. Oft kann ich nur reagieren und muss schnell entscheiden. Abends kommen mir dann oft Zweifel und ich frage mich, ob das alles so richtig war".
 
FS: Ist Ihre Arbeit besonders anstrengend?"
 
PS: „Ich denke nicht. In unserer Firma geht es allen Führungskräften so und von Freunden in einer ähnlichen Position höre ich auch nichts Anderes. Allerdings fühle ich mich in der letzten Zeit doch abends erschöpfter als früher und schlafe schlecht".

Peter S. schildert Stressmerkmale, die sich bei ihm durch Schlafstörungen und Erschöpfung zeigen. Viele Führungskräfte sind von Erschöpfung, körperlichen und psychischen Symptomen betroffen.
Wie wird Stress definiert?

Unterschieden werden Eustress und Distress. Eustress hat als Stimulus eine wichtige Funktion für die Gesunderhaltung eines Menschen. Distress dagegen kann eine schädigende Wirkung auf Psyche, Geist und Körper entfalten. Wie Anforderungen empfunden werden, hängt von der Bewertung des Betroffenen bzw. seiner persönlichen Stressresistenz ab. Die Belastbarkeit eines Menschen ist genetisch bedingt. Außerdem wird sie in der frühen Kindheit und, wie Ergebnisse der modernen Gehirnforschung belegen, schon während der Schwangerschaft der Mutter, geprägt.

Faktoren, die sich auf die Stressbewertung auswirken, sind Zeitpunkt, Dauer, Häufigkeit und Vorhersehbarkeit der Situationen. Das Gefühl, dem Stress ausgeliefert zu sein und ihn nicht kontrollieren zu können, wirkt verstärkend.

Die bei Stress ausgeschütteten Hormone Adrenalin und Cortisol beeinträchtigen die Körperfunktionen und können zu Erkrankungen und zum Burnout führen. Unter Stress leidet zudem die Kommunikationsfähigkeit, Konflikte im beruflichen und sozialen Umfeld sind vorprogrammiert.
 
Stressfaktoren am Arbeitsplatz

Peter S. hat seinen Arbeitsalltag geschildert. Führungskräfte können von unterschiedlichen Stressoren betroffen sein. Neben der Arbeitsüberlastung zählen dazu unklare Rollen und Zielvorstellungen, zu wenig Feedback und Anerkennung. Wenn Führungskräfte nicht an Entscheidungen beteiligt werden und diese nur ausführen, droht Unzufriedenheit. Fortschritte in der Kommunikationstechnologie mit einer ständigen Erreichbarkeit haben ein gesteigertes Arbeitstempo zur Folge. Steigende Erwartungen an die sozialen Kompetenzen der Führungskräfte und an deren Umgang mit überlasteten und von psychischen und körperlichen Erkrankungen betroffenen Mitarbeitern erzeugen Leistungsdruck.

 Auswirkungen auf das Privatleben

Hierzu noch einmal Peter S.: „Vor kurzem hatte meine Tochter Geburtstag und ich hatte ihr fest versprochen, pünktlich zur Feier zu Hause zu sein. Dann wurde aber am späten Nachmittag eine Telefonkonferenz angesetzt. Ein Ergebnis waren Arbeitsaufträge für mich, die noch am selben Tag erledigt werden mussten. Es war 20.30 Uhr als ich nach Hause kam und ich konnte meine Tochter nur noch zu Bett bringen. Sie war natürlich sehr enttäuscht. Ich finde es sehr schade, insgesamt so wenig von ihrem Alltag mitzubekommen."

Auch diese Schilderung ist kein Einzelfall. Die hohe Arbeitsbelastung, häufige Überstunden, Arbeiten, die zu Hause erledigt werden, belasten das Familienleben. Ungewollt werden Arbeitsplatzprobleme in der Familie ausagiert, weil die eigene Kraft fehlt und schon gar keine für die Bedürfnisse anderer vorhanden ist. Neben den Kindern sind Ehepartner betroffen sowie das gesamte soziale Netz.

Unbestritten ist heute, ein erfüllendes Privatleben stärkt die Resilienz.
 
Was wird unter Resilienz verstanden?

Resilienz bezeichnet die psychische Widerstandsfähigkeit eines Menschen. Diese Widerstandsfähigkeit ist unterschiedlich ausgeprägt und kann beeinflusst werden. Bezogen auf die Arbeitswelt bedeutet der Begriff, ein Mensch kann mit Belastungen angemessen umgehen und ist somit in der Lage, seine körperliche und psychische Gesundheit zu erhalten.

Werden die menschlichen Grundbedürfnisse nach Bindung zu anderen Menschen, Selbstbestimmung und Sicherheit befriedigt, besteht eine gute Basis zum Umgang mit Belastungen.

Bindung oder auch Zugehörigkeit ist für eine Führungskraft am Arbeitsplatz schwierig. Die Professionalität erfordert, dass im Umgang mit Mitarbeitern Distanz gehalten wird, Konkurrenzsituationen mit Kollegen auf ähnlicher Hierarchiestufe sind alltäglich. Beides lässt Führungskräfte zu Einzelkämpfern werden.

Mit der Selbstbestimmung und Freiheit verhält es sich ähnlich: Führungskräfte vertreten Entscheidungen ihrer Vorgesetzten zumeist souverän gegenüber Mitarbeitern, auch wenn sie mit diesen nicht übereinstimmen.

Unsicherheit entsteht anstelle von Sicherheit wiederum durch Konkurrenzsituationen, schnelle Veränderungen in den betrieblichen Abläufen und durch die Überzeugung, der Führungsverant-wortung oft nicht gerecht werden zu können.

Demnach fehlen Führungskräften am Arbeitsplatz wichtige Ressourcen zur Stressresistenz. Sie sind in besonderem Maße von Erkrankungen und einem Burnout bedroht.

Ein gut funktionierendes soziales Leben kann diese Defizite kompensieren. Gemeinsame Aktivitäten mit der Familie und dem sozialen Umfeld unterstützen beim Abschalten und verstärken Bindungen.
 

 Mehr Lebensqualität für Führungskräfte

Auch wenn es oft nicht möglich ist, Arbeitsbedingungen positiv zu beeinflussen, so kann doch die Stressresistenz gestärkt werden. Methoden, die auf Erkenntnissen der modernen Gehirnforschung basieren, sind besonders wirkungsvoll und mühelos in der Anwendung. Führungskräfte, die Belastungen gut bewältigen, finden zudem Rückhalt in ihren sozialen Bezügen und können dort breitere Energieressourcen aufbauen. Im Umgang mit Mitarbeitern treten sie souverän auf, weil sie in der Lage sind, Bedürfnisse und Veränderungen im Verhalten zu registrieren und zu verbalisieren. Ihr Kommunikationsstil ist zugewandt, Reibungsverluste werden vermieden, Anwesenheit und Arbeitseffektivität steigen.

 
Literatur/Links

Hüther, Gerald: Biologie der Angst. Wie aus Stress Gefühle werden; Göttingen 2009

Unger/Kleinschmidt: Bevor der Job krank macht; München 2007

Kaluza: Stressbewältigung, Heidelberg 2005

Burisch: Das Burnout-Syndrom, Heidelberg 2010,

Matyssek: Führung und Gesundheit, Norderstedt 2010

www.do-care.de